18.3.2 Zeitenfolge bei
Verben / Redewendungen, die den subjonctif verlangen
Wir hatten bis
jetzt die Zeitenfolge bei Verben der mentalen
Durchdringung wie denken, annehmen, vermuten etc.
diskutiert. Wir wissen aber aus dem Kapitel subjonctif bereits, dass
im Französischen Verben oder Redewendungen,
die eine emotional gefärbte Erwartungshaltung
erkennen lassen, wie fürchten, verlangen,
vorziehen, billigen etc. , oder auf die Nichtwirklichkeit
verweisen, den subjonctif nach sich ziehen.
Wir haben dort auch bereits diskutiert, dass
es Verben und Redewendungen gibt, etwa espérer,
supposer, croire, wo wir durchaus der Meinung
sein könnten, dass
sie einer emotional gefärbten Erwartungshaltung
Ausdruck verleihen, die Franzosen aber unsere
Meinung nicht teilen, diese Verben also den schlichten
indicatif nach sich ziehen. Da das Deutsche ja
auch nicht gerade vor logischer Stimmigkeit strotzt,
haben wir Demut gelernt, akzeptieren die Franzosen,
so wie sie sind, weil auch wir so akzeptiert werden
wollen, wie wir sind und merken uns ab und an,
dass manche Verben, wo wir den subjonctif
vermuten könnten, eben ab und an den subjonctif
nicht nach sich ziehen. Denken Sie daran, was
Adorno gesagt hat: Liebe ist, wenn Sie so sein
können,
wie Sie sind, ohne dass es ausgenutzt wird. Eine
Liste dieser Verben und Redewendungen finden
Sie im Kapitel subjonctif .
Allerdings haben wir auch bei Verben wie fürchten,
verlangen, vorziehen etc. das gleiche Problem wie
oben. Man kann befürchten, dass etwas eingetreten
ist, etwas eintritt oder etwas eintreten wird, und
man kann auch in der Vergangenheit befürchtet
haben, dass etwas eingetreten war (bevor man es
befürchtete), etwas eintrat (in dem Moment,
in dem man es auch befürchtete) oder aus der
Sicht der Vergangenheit eintreten wird.
Man kann beim besten Willen nicht behaupten, dass
das Deutsche zur Höchstform aufläuft,
wenn es darum geht, die Chronologie der Ereignisse
richtig wiederzugeben. Im Deutschen ergibt sich folgendes
Bild.
Übersicht der Struktur im Deutschen
Referenzpunkt Gegenwart
vorzeitig:
Ich befürchte/denke/nehme an,
dass er es gemacht hat.
gleichzeitig:
Ich befürchte/denke/nehme an, dass er es macht.*
nachzeitig:
Ich befürchte, dass er es machen wird.
Referenzpunkt Vergangenheit
vorzeitig:
Ich befürchtete/dachte/nahm an, dass er es gemacht hatte.
dass er es gemacht hätte.
gleichzeitig:
Ich befürchtete/dachte/nahm an, dass er es machte.**
dass er es machen würde.
nachzeitig:
Ich befürchtete/dachte/nahm an, dass er es machen würde.
* Der eventuell nicht erwünschte Verweis auf die Zukunft, kann nicht eliminiert werden.
** Mit dem Imperfekt wäre die Gleichzeitigkeit eigentlich präziser wiedergegeben, allerdings klingt das reichlich schief. Die Konstruktion mit würde wiederum hat den ungewünschten Verweis auf die Zukunft.
Wie wird die Zeitenfolge nun im Französischen realisiert, wenn das Verb / die Redewendung den subjonctif verlangt. Wir haben darüber bereits im Kapitel subjonctif gesprochen. Wir haben dort bereits darüber diskutiert, dass aufgrund des Wegfalls des subjonctif imparfait und des subjonctif plus-que-parfait im gesprochenen Französisch nicht mehr alle Situationen chronologisch präzise abgebildet werden können.
Folglich ist eine Fallunterscheidung zu treffen.
Im gepflegten, sehr gepflegten, Französisch
laufen die Systeme parallel. Statt des indicatif
présent ist das subjonctif
présent, statt des indicatif
imparfait ist das subjonctif
imparfait etc. zu verwenden. Im gesprochenen
Französisch und im weniger gepflegten schriftlichen
Französisch (aber eigentlich fast immer) lassen
sich allerdings nicht mehr alle Konstellationen
abbilden, weil ja der subjonctiv
imparfait nicht mehr verwendet wird. Es gibt
hier also einen erheblichen Unterschied zwischen
dem Französischen und den anderen romanischen
Sprachen. In den anderen romanischen Sprachen ist
das vollständige System auch im subjonctif
vorhanden. Bevor wir auf den nächsten zwei
Seiten die zwei Systeme, gehobener Stil <=>
Standard, vorstellen, nochmal eine kurze Zusammenfassung
des bisher Gesagten.
Innerhalb der Verben der mentalen Durchdringung
gibt es zwei Typen. Die einen, wie penser
(denken), croire (glauben),
espérer (hoffen),
supposer (annehmen),
die in der affirmativen Form (nicht aber in der
negativen, ich glaube/ hoffe / etc. nicht!) den
indicatif verlangen und Verben wie craindre
(fürchten), regretter
(bedauern) etc., die den subjonctif
verlangen. Im indicatif
ist das System vollständig, die chronologische
Abfolge kann in jeder Situation präzise wiedergegeben
werden. Im subjonctif
ist zumindest im heutigen Französisch das System
nicht mehr vollständig, weil der subjonctif
imparfait praktisch nicht mehr verwendet wird. Verben
wie fürchten, wollen, verlangen zu den Verben
der mentalen Durchdringung zu zählen, mag manchem
ungewöhnlich erscheinen. Man sollte sich aber
klar machen, dass bei diesem Typ von Verb, die Wirklichkeit
imaginiert wird. Fürchten zum Beispiel, kann
man nur etwas, was sich noch nicht ereignet hat.
Etwas was sich bereits ereignet hat, kann man nicht
fürchten. Alle Verben der mentalen Durchdringung
zielen auf eine Nichtwirklichkeit, nur manche davon
verlangen eben den subjonctif und andere eben den
indicatif.