Wie bereits eingangs
erwähnt, ist es oft so, dass das Deutsche zwischen
Imperfekt (ich las) und Perfekt (ich habe gelesen)
weitgehend indifferent ist.
Indifferenz zwischen Imperfekt
und Perfekt
Ich bin immer mit dem Fahrrad in die Schule gefahren.
Ich fuhr immer mit dem Fahrrad in die Schule.
Damals hat er viel gelesen.
Damals las er viel.
Allerdings ist dem nicht immer so. Man kann auch
Sätze konstruieren, wo auch der Deutsche der
einen Zeit vor der anderen den Vorzug geben würde,
wenn auch diese Präferenz eher eine Frage des
guten / schlechten Stils ist und selten ein knallharter
Fehler.
das Perfekt wird dem Imperfekt vorgezogen
Es gibt vereinzelt Beispiele, wo auch Deutsche eindeutig das Perfekt dem Imperfekt vorziehen. Das Perfekt stellt einen Bezug einer Handlung der Vergangenheit zur Gegenwart her. Ist dieser Zusammenhang entscheidend, würden wohl alle Deutsche das Perfekt wählen. Der Unterschied zwischen dem Französischen und dem Deutschen besteht darin, dass man den Unterschied im Deutschen nur in kritische Situationen merkt. In allen romanischen Sprachen, außer dem Portugiesischen, aber der Fall ist subtil, und dem Englischen, ist jede Handlung, die für die Gegenwart noch bedeutsam ist, im Perfekt zu schildern. Es gibt in diesen Sprachen keinen Kontext, wo die eine Zeit durch die andere substituiert werden kann. Es kann höchstens der Fall eintreten, dass der Sinn des Satzes in Abhängigkeit von der Zeit verändert wird.
A: Hast du Hunger?
B: Nein, ich habe gerade gegessen.
B: eher nicht: Nein, ich aß gerade.
Der Zusammenhang ist hier sehr eng. Er hat eben keinen Hunger, weil er gerade gegessen hat. Wenn Sie also verstehen wollen, wie sich die falsche Verwendung der Zeiten für einen Franzosen anhört, dann halten Sie sich an diesen Satz.
besser:
Du hast gerade eben das ganze Geld ausgegeben
? Du bist ein ziemliches Rindvieh!
eher nicht:
Du gabst gerade eben das ganze Geld
aus? Du bist ein ziemliches Rindvieh!
Grund: Auf die Auswirkung der Handlung für die Gegenwart kommt es entscheidend an.
besser:
Es ist jetzt 12.30 Uhr, und er hat immer
noch nicht angerufen.
eher nicht:
Es ist jetzt 12.30 Uhr, und er rief immer
noch nicht an.
Grund:
Es kommt entscheidend darauf an, dass
die Handlung, die in der Vergangenheit
eingesetzt hat, in der Gegenwart andauert.
besser: Es hat geschneit, nun ist alles weiß.
eher nicht: Es schneite, nun ist alles weiß.
Grund: Der zweite Satz steht im Präsens, die Verbindung zu der Handlung in der Vergangenheit ist also sehr eng.
Das beste Beispiel ist wohl dieses, weil hier die Unterschiede zwischen Imperfekt und Perfekt sogar semantisch (die Bedeutung betreffend) spürbar sind.
Beispiele
a) Ich verlor meinen Geldbeutel.
b) Ich habe meinen Geldbeutel verloren.
c) Ich hatte meinen Geldbeutel verloren.
Bei a) ist der Geldbeutel entweder wieder aufgetaucht,
oder es ist dem Sprecher inzwischen egal,
bei b) ist der Geldbeutel definitiv weg und
bei c) ist er wieder aufgetaucht.
das Imperfekt wird dem Perfekt vorgezogen
besser: Als ich ihn zum letzten Mal sah, arbeitete er in Stuttgart.
eher nicht: Als ich ihn zum letzten Mal sah, hat er in Stuttgart gearbeitet.
Grund: Die Handlung ist nicht perfekt, sie ist sozusagen imperfekt, man weiß nicht, ob er jetzt vielleicht immer noch in Stuttgart arbeitet.
besser: Er kam die Straße herunter, sah ihn und wechselte auf die andere Straßenseite.
eher
nicht: Er ist die Straße
herunter gekommen, hat ihn gesehen und
hat auf die andere Straßenseite
gewechselt.
Grund: Aufeinanderfolgende Ereignisse werden im Deutschen im Imperfekt geschildert.
das Plusquamperfekt wird dem Imperfekt vorgezogen
besser: Nachdem er gestorben war, stellte man fest, dass er kein Testament hinterlassen hatte.
eher nicht: Nachdem
er starb, stellte man fest, dass er
kein Testament hinterlassen hatte.
Grund: Die Vorzeitigkeit muss zwingend zum Ausdruck gebracht werden, da die eine Handlung eine logische Konsequenz der anderen ist. Nicht die bloße Nachzeitigkeit steht im Vordergrund, diese könnte auch mit dem Imperfekt ausgedrückt werden, sondern die logische Konsequenz.
das Imperfekt wird dem Plusquamperfekt vorgezogen
besser:
Er schaute sie an, und sie lächelte,
und dieses Lächeln konnte er nie
mehr vergessen.
eher
nicht: Er hatte sie angeschaut,
und sie lächelte, und dieses Lächeln
konnte er nie mehr vergessen.
Grund: Die eine Handlung folgt lediglich auf die andere, nicht die logische Konsequenz ist das entscheidende, sondern die Aufeinanderfolge der Handlungen.
Plusquamperfekt wird dem Perfekt vorgezogen
Das Plusquamperfekt ist die semantisch stärkste Zeit im Deutschen, das heißt, das Plusquampefekt hat eine Bedeutung, es drückt ohne weiteres Vorzeitigkeit aus.
besser: Sie hatten sich verfahren, so dass sie zu spät kamen.
eher nicht: Sie haben sich verfahren, so dass sie zu spät kamen.
Grund: Es gibt einen kausalen Zusammenhang zwischen
diesen beiden Sätzen, der zweite
Teil ist die logische Konsequenz des
ersten, aus logischen Gründen kommt
es auf die Vorzeitigkeit wesentlich
an. Nicht das Aufeinanderfolgen der
Handlungen ist entscheidend, sondern
die logische Bedingtheit. Das Imperfekt
und das Perfekt besitzen diese semantische
Stärke nicht.
Perfekt wird dem Plusquamperfekt vorgezogen
besser: Es hat geschneit, nun ist alles weiß.
eher nicht: Es hatte geschneit, nun ist alles weiß.
Grund:
Das Plusquamperfekt ist semantisch sehr
stark. Er drückt ein Ereignis in
der Vergangenheit aus, das ein anderes
Ereignis in der Vergangenheit logisch
bedingt hat. Die oben beschriebene Handlung
ist aber vorzeitig zur Gegenwart.