8.2.2 Die Verwendung des deutschen Konjunktiv

8.2.2.1 Verwendung in der indirekten Rede

Die "klassische" Anwendung des deutschen Konjunktivs ist die indirekte Rede, das französische Pendant, der subjonctif, dient aber, von einem Spezialfall abgesehen, nicht zur Bildung der indirekten Rede. Die Regel, die im Deutschen anzuwenden ist, ist so einfach, wie praktisch schwer durchführbar. Die Regel lautet schlicht, die Handlung, von der berichtet wird, steht im Konjunktiv I.

Beispiel
Schiller sagt: "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt."
Schiller sagt, dass der Mensch nur da ganz Mensch sei, wo er spiele.

Es spielt hierbei, im Gegensatz zu den romanischen Sprachen, wir werden darauf noch zurückkommen, überhaupt keine Rolle, in welcher Zeit das Verb steht, das die indirekte Rede einleitet.

Beispiel
Schiller sagte, dass der Mensch nur da ganz Mensch sei, wo er spiele.
Schiller hat gesagt, dass der Mensch nur da ganz Mensch sei, wo er spiele.
Schiller hatte gesagt, dass der Mensch nur da ganz Mensch sei, wo er spiele.

Die Regel ist also ziemlich einfach, bei genauerer Betrachtung aber entpuppt sich diese Regel als praktisch kaum durchführbar und de facto herrscht das totale Chaos. Die Probleme treten in diesen Situationen auf.

Konjunktiv I ist identisch mit dem Präsens Indikativ: Der Konjunktiv I wird durch den Konjunktiv II ersetzt

Ist der Konjunktiv I identisch mit dem Präsens Indikativ, so wird der Konjunktiv II verwendet.

Beispiel
Maria sagt: "Ihr bringt mir Unglück."
Maria sagt, dass wir ihr Unglück bringen.

Der Konjunktiv I wird durch den Konjunktiv II ersetzt.
Maria sagt: "Ihr bringt mir Unglück."
Maria sagt, wir brächten ihr Unglück.

Konjunktiv II ist identisch mit dem Imperfekt: Der Konjunktiv II wird durch den Konditional ersetzt.

Der Konjunktiv II geht auch dann nicht, wenn er identisch ist mit dem Imperfekt. Dann muss der Konditional verwendet werden.

Beispiel
Maria sagt: "Sie gingen in den Wald."
Maria sagt, sie gingen in den Wald.

Konjunktiv I (gehen) ist identisch mit Präsens (gehen) und Konjunktiv II (gingen) ist identisch mit dem Imperfekt (gingen). In diesem Fall wird der Konditional verwendet.

Der Konjunktiv II wird durch das Konditional ersetzt.
Maria sagt: "Sie gingen in den Wald."
Maria sagt, sie würden in den Wald gehen.
Konjunktiv II ist nicht identisch mit dem Imperfekt, klingt aber gestelzt.

In diesem Fall wird der Konditional verwendet.

Der Konjunktiv I durch den Konjunktiv II ersetzt.
Maria sagt: "Ihr wascht euch jetzt."
Maria sagt, wir wüschen uns jetzt.

Der Konjunktiv I (waschen) geht nicht, weil er identisch ist mit dem Präsens (waschen). Der Konjunktiv II (wüschen) geht nicht, weil er gestelzt klingt. Folglich heißt es:

Der Konjunktiv I durch das Konjunktiv II ersetzt.
Maria sagt: "Ihr wascht euch jetzt."
Maria sagt, wir würden uns jetzt waschen.

Wie unschwer zu erkennen, ist dieses Schema kompliziert und obendrein kann man sich jedesmal darüber streiten, ob der Konjunktiv II nun gestelzt klingt oder nicht. Weiter dürften viele Konjunktive II vielen Sprechern schlicht unbekannt sein. Das morphologische Chaos ist also komplett und hat dazu geführt, dass das System de facto aufgelöst ist und alle Varianten zu finden sind.

Beispiel
Wittgenstein sagt: "Die Welt ist, was der Fall ist."
Wittgenstein sagt, die Welt sei, was der Fall sei.
Wittgenstein sagt, die Welt ist, was der Fall ist.
Wittgenstein sagt, die Welt wäre, was der Fall wäre.

Es mag einige Verben geben, zum Beispiel sein, bei denen das System noch halbwegs stabil ist. Insgesamt ist es instabil. Auch die Verwendung des Konjunktivs in anderen Funktionen ist nicht richtig stabil und konsequent, was wohl ebenfalls damit zusammenhängt, dass allein schon die Bildung des Konjunktivs Probleme bereitet.

Unabhängig vom morphologischen Chaos, das in den romanischen Sprachen nicht besteht, gibt es aber noch einen entscheidenden inhaltlichen Unterschied. Keine romanische Sprache verwendet, abgesehen von seltenen Ausnahmen, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, in der indirekten Rede den subjonctif.



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