In allen Grammatiken
der romanischen Sprachen wird der indirekten Rede
ein eigenes Kapitel gewidmet, auf die Consecutio
Temporum, die Zeitenfolge, wird in einem separaten
Kapitel oder gar nicht eingegangen. Beides ist falsch
und ist zu revidieren, was wir hiermit tun. In Anbetracht
der Tatsache, dass es sich um ein generelles Problem
aller romanischen Sprachen und höchstwahrscheinlich
auch einiger anderer Sprachen handelt, sind wir
tatsächlich der Meinung, dass man das Problem
mal etwas üppiger betrachten kann. Da es auch
viele andere Sprachen betrifft, sind wir eiskalt
der Meinung, dass man sich damit mal eine halbe
Stunde beschäftigen kann, weil es unter Umständen
auch den Erwerb anderer Sprachen erleichtert.
Die indirekte Rede ist in den romanischen Sprachen,
im Gegensatz zum Deutschen (!), nur ein Sonderfall
der consecutio temporum im Allgemeinen. Im Deutschen
macht es Sinn, zwischen der indirekten Rede und
der Zeitenfolge im Allgemeinen zu trennen, weil
im Deutschen hinter der indirekten Rede und der
Zeitenfolge eine ganz andere Philosophie steckt.
In den romanischen Sprachen aber besteht dieser
Unterschied nicht. Wir werden jetzt diese stilistisch
hübschen aber etwas dunklen Bemerkungen hinter
uns lassen und mal erklären, um was es geht,
so ganz konkret.
Die Handlungen der realen Welt rollen auf einer
Zeitschiene ab, die eine folgt auf die andere. (Boah,
das ist ja fast wie bei Wittgenstein, "die Welt
ist, was der Fall ist" etc..) Ok, also diese Erkenntnis
war noch nicht wirklich bahnbrechend. In einem Satz
wie "Sie verliebten sich, heirateten und ließen
sich wieder scheiden" folgen die Handlungen aufeinander.
Das ist also wirklich trivial. Das Problem besteht
nun darin, zumindest in den romanischen Sprachen,
dass der chronologisch korrekte Ablauf der Handlungen
auch dann korrekt wiederzugeben ist, wenn die Handlungen
in der Vergangenheit mental durchdrungen werden.
(Ich weiß, was Sie denken, ich weiß,
ich weiß, "wat den dat fürn Quark", nu
mal langsam, ja, alter Mann ist kein D-Zug!) Betrachten
wir mal folgende Sätze.
a) Ich dachte, er sei in die Schule gegangen.
b) Ich dachte, er wäre in die Schule gegangen.
c) Ich dachte, er ginge in die Schule.
d) Ich dachte, er gehe in die Schule.
e) Ich dachte, er würde in die Schule gehen.
Und? Irritiert Sie etwas? Wann verdammt nochmal
ist denn der Bengel meiner Meinung nach in die Schule
gegangen? Zu einem Zeitpunkt, bevor ich es dachte,
im gleichen Moment, in dem ich es dachte, oder nachdem
ich es dachte? Das Problem besteht darin, dass der
deutsche Weg nicht wirklich genial ist. Das Deutsche
wählt in so einem Fall den Konjunktiv, der
nach Aussagen aller Grammatiken ja Distanziertheit
oder Unsicherheit in Bezug auf die geschilderten
Verhältnisse ausdrückt. Leider muss man
aber nicht nur Unsicherheit und Distanz ausdrücken
(was man übrigens auch lassen kann, und die
romanischen Sprachen verzichten darauf), sondern
auch die Zeitschiene. Das kann der deutsche Konjunktiv,
aufgrund des morphologischen Chaos, wir kommen darauf
gleich zurück, aber kaum leisten. Das Deutsche
versucht also gleichzeitig Unsicherheit, Distanz
und den chronologischen Ablauf auszudrücken.
Wie die oben gezeigten Beispiele zeigen, wird das
System dann aber unklar. Das deutsche System ist
also wirr, gutmeinende Zeitgenossen würden
sagen gescheitert auf hohem Niveau. Die chronologische
Abfolge der Ereignisse, die zu einem Zeitpunkt imaginiert
wurden, der nicht mit der Gegenwart desjenigen übereinstimmt,
der die Handlungen erzählt oder mental durchdringt,
kann das Deutsche nur noch sehr schwach ausdrücken;
kommt es auf die chronologische Darstellung der
Ereignisse in dieser Situation wesentlich an, dann
muss mit einer adverbialen Bestimmung präzisiert
werden.
Nach einer gründlichen Reflexion, würden
Deutsche unter Umständen die Zeitschiene folgendermaßen
beurteilen. Bei a) ist er in die Schule gegangen,
bevor der andere darüber nachdachte. Bei b)
, c), d) geht er in dem Moment in die Schule, als
der andere darüber nachdenkt. Bei e) wird er
in die Schule gehen, nachdem der andere darüber
nachdenkt. Über das morphologische Wirrwarr
in den Sätzen b) , c) und d) werden wir uns
gleich unterhalten. Ob es eine brillante Idee unserer
germanischen Urahnen war, hier den
Konjunktiv zu verwenden, lassen wir dahingestellt.
Sollten Sie anderer Meinung sein, machen Sie am
besten eine Umfrage. Sollten die Meinungen auseinander
gehen, sind wir uns einig. Das Deutsche kann die
chronologischen Verhältnisse nur sehr schwach
zum Ausdruck bringen.
Die romanischen Sprachen konstruieren so.
Vorzeitig : a) Ich dachte, er war in die Schule gegangen.
gleichzeitig: b) Ich dachte, er ging in die Schule.
nachzeitig: c) Ich dachte, er würde in die Schule gehen.